Der siebte Kontinent

Die Arktis und der Nordpol sind in unseren mitteleuropäischen Breiten hinlänglich bekannt, die Antarktis und der Südpol bestenfalls aus Erzählungen zu den Südpol-Expeditionen von Amundsen, Scott und ggf. noch Shackleton. Dabei gibt es wichtige und gravierende Unterschiede zwischen der nördlichen und der südlichen Polkappe. Die Arktis gehört politisch anteilig einer Vielzahl von Staaten, während die Antarktis staatenlos ist. Die Arktis ist zudem keine zusammenhängende Landmasse und wird demnach geografisch, wie oben erwähnt, den jeweiligen Staaten zugeordnet, während die Antarktis als permanent eisbedeckte Landmasse einen eigenen Kontinent darstellt – übrigens den einzigen bevölkerungslosen …

Wenige Zentimeter sind es auf der Landkarte, doch viele Seemeilen in der Realität: Wer den 60. Breitengrad im Südlichen Ozean überquert, ist offiziell in der Antarktis. Die Antarktis ist der kälteste, trockenste und stürmischste aller Kontinente. Sie ist fast 40 mal so groß wie Deutschland. Auch im antarktischen Sommer (Dezember bis Februar) sind 99 Prozent der Antarktis mit Eis bedeckt, stellenweise bis nahezu 5.000 Meter dick. Sie gilt als „natürliches Archiv“ für die Naturgeschichte der Erde und hat entscheidenden Einfluss auf das Weltklima und die über das Südpolarmeer verbundenen Meeresökosysteme.

Vor mehr als 100 Jahren segelten die Forscher Scott und Amundsen in diesen Gewässern und lieferten sich im ewigen Eis ein lebensgefährliches Wettrennen zum Südpol. Amundsen siegte nach 99 Tagen und 2.600 Kilometern, hisste am 14. Dezember 1911 dort die norwegische Flagge.

Die Antarktis ist jedoch keinesfalls norwegisch, sondern untersteht einem besonderen völkerrechtlichen Vertragssystem, das die internationalen Beziehungen auf diesem Kontinent und seine Nutzung durch die internationale Gemeinschaft regelt. Kern des Vertragssystems ist der Antarktisvertrag (AV) von 1959, der 1961 in Kraft trat, mitten im kalten Krieg. Diesem ist die Bundesrepublik Deutschland 1979 beigetreten. Der Antarktisvertrag gilt für das gesamte Gebiet südlich des 60. Grades südlicher Breite. Er lässt die Nutzung der Antarktis nur für friedliche Zwecke zu und verbietet ausdrücklich jede militärische Nutzung, gewährleistet dadurch die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung und fördert zu diesem Zweck die internationale Zusammenarbeit. Er verbietet zudem Atomtests und die Beseitigung radioaktiven Abfalls in der Antarktis.

Auch heutzutage steht die Welt für die zahlreichen Forscher hier Kopf: das Kühlhaus hat eine Heizung, sonst erfrieren Obst und Gemüse. Die Eiscreme muss 10 Minuten in die Mikrowelle. Verfallsdaten und Schimmel gibt es nicht, denn für Bakterien ist es zu kalt. Insgesamt arbeiten in der Antarktis bis zu 4.000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt in mehr als 80 Forschungsstationen. Die Forschung erstreckt sich von Klima über Meeresgeräusche bis Weltraum, der sich wegen der Lichtverhältnisse hier besonders gut beobachten lässt.

Ob in der Meerenge Crystal Sound, in Paradise Bay oder andernorts – per Schiff die Antarktis zu entdecken, heißt: bis zu 1.000 Meter in den Himmel ragende Eiswände, bizarre Eisskulpturen vorm Bug. So magisch die Eisberge erscheinen, so bedrohlich sind sie. Nur zehn Prozent ihres Volumens sind an der Oberfläche sichtbar, 90 Prozent liegen im Wasser verborgen. Für Schiffe stellen sie eine ständige Gefahr dar. Nur bei guter Sicht lässt sich das Risiko einer Kollision kalkulieren. Daher bestimmt einzig das Wetter den genauen Kurs.

Wer in die Antarktis reist, reist auch in das Land der Pinguine. Die wundersamen Eisbewohner wackeln quasi überall unbeholfen auf dem Eis hin und her, nur um dann unvermittelt ins Wasser zu springen – und plötzlich ändert sich alles: Mit bis zu 40 Stundenkilometern gleiten die eleganten Taucher durchs eiskalte Meer. Dabei sind Pinguine ausdauernd und unglaublich geschickt. Kaiserpinguine etwa können bis zu 20 Minuten lang und über 500 Meter tief tauchen. Sie navigieren mit schnellen und präzisen Richtungswechseln, um ihren Jägern, wie den Seeleoparden, zu entkommen oder selbst zu jagen, und schießen mit akrobatischen Sprüngen zurück aufs Eis. Wer sich wie wir in die Antarktis wagt, kann die Tauchkünste der Frackträger nahezu täglich hautnah vom Boot oder Eis aus miterleben – atemberaubend!

Mit Zodiacs, den wendigen und robusten Spezial-Schlauchbooten, fahren wir täglich zweimal raus, vormittags und nachmittags an die Eisberge heran und in Buchten hinein, um dort anzulanden und von dort die Umgebung zu erkunden. Doch selbst für erfahrene Navigatorinnen und Navigatoren kann die Expedition gefährlich werden, wenn das Wetter plötzlich umschlägt: Der sogenannte „Whiteout“ ist faszinierend, aber gefürchtet. Himmel und Erde bilden eine weiße Fläche. Der Orientierungssinn ist ausgeschaltet. Uns bisher noch nicht passiert 😉.

Faszinierend ist es auch, wenn plötzlich ein Wal neben dem Zodiac auftaucht und seine Fluke, diese imposante Schwanzflosse, aus dem Wasser hebt. Nur Sekunden später taucht der 14-Meter-Koloss wieder ab. Eine Gänsehautbegegnung mit den Giganten der Meere auf Augenhöhe! Besonders im gerade ausklingenden antarktischen Sommer – etwa von November bis März – waren die Chancen für eine Begegnung mit Buckelwalen groß – und wir haben viele gesehen!

Ein Gedanke zu „Der siebte Kontinent“

Kommentare sind geschlossen.