Die zweitgrößte Stadt Kolumbiens – Medellin – hat den Beinamen „Stadt des ewigen Frühlings“ und dem können wir soweit zumindest für die 5 Tage, die wir dort verbracht haben, nicht widersprechen. Das Wetter war angenehm mild, überall war es grün und blühte es und das Leben in der Stadt spielte sich vergleichsweise gemächlich ab und keinesfalls so hektisch und laut, wie man es in einer südamerikanischen Großstadt vermuten würde. Zudem konnten wir als Touristen uns in den Teilen der Stadt, die uns primär interessierten, problemlos und sicher bewegen. Sicher, frei stehen mit dem Wohnmobil ist in Medellin wohl keine brauchbare Idee und leider sind auch die Campingplätze rar gesät und außerhalb der Stadt gelegen. So buchten wir kurzerhand ein Boutique Hotel für uns und Chop-Chop im Gringo-Stadtteil „El Poblado“ – eine perfekte Idee!





Wenn man sich jedoch die jüngere Historie Medellins anschaut, ist es kaum vorstellbar, daß sich Medellin so präsentiert, wie oben beschrieben, und sich in kürzester Zeit von einer Drogen-Metropole und der gefährlichsten Stadt der Welt mit hoher Militärpräsenz zu einem modernen Urlaubs-Hotspot und einer Trendmetrolpole gewandelt hat.

So stand für uns auch früh fest, daß wir uns nicht nur oberflächlich mit dem heutigen Bild Medellins auseinandersetzen, sondern auch hinter die Fassade des Wandels blicken wollten. Hierfür war es für uns natürlich essenziell, die Vergangenheit rund um Pablo Escobar und dem Medellin-Kartell, den militärischen Konflikten in der Comuna 13 und den landesweiten Kampf des Regimes gegen die FARC- und M-19-Guerilla zu erfahren. Wie kann man dies besser tun, als sich selber unter die Menschen der Stadt zu mischen und sich von lokalen Guides und sogar Beteiligten ihre Geschichte der Stadt erzählen zu lassen! Auf geht‘s …

Stop! Bevor es losging stand noch ein wichtiger Termin auf dem Programm: Natalies 2. Geburtstag auf unserer Reise und ihr insgesamt 49. am Sonntag, dem 19. Januar!
Happy Birthday, mein Schatz ❤️💋…
Kaum zu glauben, was wir alles seit Natalies 1. Reisegeburtstag – damals noch kurz nach Ankunft von Chop-Chop in Südamerika in Colonia del Sacramento (Uruguay) alles erleben durften … Wahnsinn!






Wir nutzten diesen besonderen Tag für die Erkundung des historischen Zentrums Medellins im Rahmen einer Free-Walking-Tour. Unser Guide Sebastian – in den USA geboren und aufgewachsen – kehrte vor einigen Jahren in seine Heimat zurück und vermittelt nunmehr interessierten Besuchern seiner Stadt die historischen Wurzeln rund um den Plaza Botero mit seinen zahlreichen Skulpturen des kolumbianischen Künstlers Fernando Botero.
Nach der dreistündigen Tour machten wir uns auf zum geburtstaglichen Teil des Tages … lecker essen in einem schicken Fisch- und Meeresfrüchterestaurant in El Poblado und anschließend in das 2016 als weltweit beste Gelateria gekürte „Amor Acuya“ … himmlisch lecker …




Am darauf folgenden Dienstag gab es nach den kulinarischen Genüssen des Sonntags zur Abwechslung aufwühlende, intensive und hautnahe Kost. Diego, seines Zeichens ehemaliger Drogenkurier des Medellin-Kartells in Miami und New York (und dort 20 Jahre von 1999 – 2019 hinter Gittern) nahm uns mit auf eine ganz besondere Tagestour und brachte uns die Geschichte rund um Pablo Escobar und dem Medellin-Kartell aus der Sicht eines unmittelbar Beteiligten nahe. Berührend!




Wir besuchten: den „Memorial Park“ der (offiziell) 46.000 im Drogen-Krieg des Medellin-Kartells Getöteten. Inoffiziell sind es übrigens über 100.000 Getötete, oft auch unbeteiligte Zivilisten, so wie die 107 Passagiere des Avianca-Fluges AV203 von Bogotà nach Cali im November 1989. Das die Sprengung des Flugzeuges durch die Regierung Kolumbiens bewußt in Kauf genommen wurde, indem Pablo Escobar „gesteckt“ wurde, in dem Flugzeug befinde sich ein hochrangiger Politiker, welcher seine Auslieferung an die USA unterstütze, wird in westlicher Berichterstattung geflissentlich unterschlagen. Dieser befand sich natürlich nicht an Bord, das Ziel des Regimes wurde jedoch erreicht: das Feindbild des skrupellosen Terroristen Pablo Escobar (was er sicher auch war) hatte einen neuen Aufhänger, der weltweite Empörung hervor rief … und neue Belohnungs-Höchststände auf den Fahndungsplakaten …



Wir besuchten: das Grab der Escobars, der „schwarzen Witwe“ Griselda Blanco und Escobars Schwager Gustavo, der „Kopf“ hinter dem Medellin-Kartell. Sehr beeindruckend: das Treffen mit „Carieton“, dem Bodyguard und Killer Escobars. Nach 23 Jahren hinter kolumbianischen Gittern, steht er heute Touristen Rede und Antwort und hat ein Buch geschrieben, in dem er seine Geschichte erzählt … das habe ich Natalie nachträglich zum Geburtstag geschenkt 😁






Wir besuchten: das Haus, auf dessen Dach Pablo Escobar am 3. Dezember 1993 erschossen wurde. Oder etwa nicht? Diego belegte uns eindeutig, daß Escobar nicht erschossen wurde! Vielmehr hatte er panische Angst vor der Auslieferung in die USA, die ihm bevor gestanden hätte. Mit einem Schuß in sein rechtes Ohr beendete er deshalb selber sein Leben und entkam dadurch der Folterung durch die kolumbianische Polizei und der Auslieferung.


Wir besuchten: das Armenviertel, das früher eine Müllhalde war und auf dem die Ärmsten der Armen lebten. Hier errichtete Pablo Escobar ein ganzes Viertel (Comuna), schenkte den Menschen ein Dach über dem Kopf, baute Schulen, Sportplätze und ein Krankenhaus.







Für die arme Bevölkerung war Pablo Escobar ein Held, ein Robin Hood. Einer von ihnen, der das Geld von den Reichen (Amerikanern) nahm und es ihnen zukommen ließ. Ob Kalkül oder „echtes“ soziales Engagement sei einmal dahin gestellt. Letztlich bewahrheitete sich einmal mehr unsere These: um Dir ein objektives Bild von etwas oder von jemandem zu machen, mußt Du Dir – sofern Du an Objektivität interessiert bist – IMMER alle Seiten anhören und anschauen und Dir die Mühe machen, diese Seiten aufzustöbern. Leider lassen sich viele Menschen heutzutage eine Wahrheit suggerieren … von den Medien, der Politik, Influencern oder anderen Personen, die oftmals lediglich ihr eigenes Interesse, nicht aber die objektive Berichterstattung im Sinn haben. Es ist schließlich bequemer, in seiner Komfortzone zu bleiben und sich berieseln zu lassen, als selber nach Medellin zu fahren und Menschen zu finden, die einem ihre Geschichte erzählen …
Medellin und die Geschichte rund um Pablo Escobar und dem Medellin-Kartell ist dabei lediglich ein plakatives Beispiel. Letztlich trifft die oben genannte Erkenntnis jedoch auf so ziemlich alle Aspekte des menschlichen Handelns und Interagierens zu.







Das letzte Kapitel Medellins führte uns am Mittwochnachmittag abschließend in die „Comuna 13“, bekannt für seine erst 2011 eingeweihte 348 Meter lange Rolltreppe, die als „öffentliches Verkehrsmittel“ unter freiem Himmel die steilen Hänge der Comuna hoch führt.


Vor nicht allzu langer Zeit – kurz nach der Jahrtausendwende – war dieser Ort, der heute wie ein touristischer Vergnügungspark anmutet, ein Schlachtfeld. Zu jener Zeit galt die Comuna 13 als gefährlichster Stadtteil von Medellín – der damals noch gefährlichsten Stadt der Welt. Unter anderem kämpften hier Drogenbanden um Territorien und ihr Leben. Hier bekämpften sich jahrelang die verschiedenen Akteure des kolumbianischen Bürgerkriegs. Die Auseinandersetzungen zwischen Drogenbanden, linken FARC-Guerilla, rechten paramilitärischen Kräften und Sicherheitskräften waren oft blutig und tödlich. Die Comuna 13 war damals nicht nur die gefährlichste Comuna Medellíns, sondern auch ganz Lateinamerikas. Für Touristen wäre es damals undenkbar gewesen, das Viertel zu besuchen.



Heute muss man sich keine Sorgen mehr machen. Kolumbien ist vielerorts sicher und in der Comuna 13 kann man mittlerweile einfach zu Fuß durch die Mischung aus Geschichte, Straßenkunst und dem echten Leben in einer lateinamerikanischen Favela herumschlendern.
